Internationales Insolvenzverfahren für Staaten in wiederkehrenden Schuldenkrisen

15.06.2016, Jürgen Kaiser

Warum gibt es ein Insolvenzrecht für Unternehmen und auch für Privatpersonen, aber nicht für Staaten? Können Staaten gar nicht bankrott gehen, wie der ehemalige Chairman der Citibank Walter Wriston in den 1980er Jahren äußerte? Mit welcher Situation haben wir es dann jetzt in Griechenland zu tun? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt des Vortrags von Jürgen Kaiser. Unter dem Titel „Internationales Insolvenzverfahren für Staaten in wiederkehrenden Schuldenkrisen“ ging die Ringvorlesung „Konkrete Utopien“ am vergangenen Mittwoch in die 12. Runde.

Jürgen Kaiser ist politischer Koordinator beim bundesweiten Entschuldungsbündniserlassjahr.de. Zum Einstieg definierte er zunächst den Begriff Schulden und zeigte, welche Schulden unproblematisch sind und aus welchen sich Probleme ergeben. In diesem Zusammenhang ging er ebenso der Frage nach, ob sich Geschichte in Bezug auf Schuldenkrisen wiederhole. 
Um darauf eine Antwort zu finden, verglich Jürgen Kaiser die Schuldenkrisen der Schwellen- und Entwicklungsländer Lateinamerikas in den 1980er Jahren mit der Finanzkrise, die seit 2007 unter anderen den Kollaps der US-amerikanischen Großbank Lehman Brothers bewirkte. Zwar hatten beide Krisen unterschiedliche Gründe, die Verläufe und der Umgang der Politik mit den Krisen zeigen aber erschreckende Parallelen. In den 1970er Jahren hatte sich insbesondere durch die sprudelnden Einnahmen der Erdöl exportierenden Länder Kapital in großem Stil akkumuliert, das bei Privatbanken angelegt wurde. Diese vergaben oft leichtfertige Kredite an Entwicklungs- und Schwellenländer, die wiederum das Geld für Aufrüstung und sogenannten „weiße Elefanten“ ausgaben – unsinnige Prestige- und Repräsentationsprojekte. 
In der Folge konnten viele der Entwicklungs- und Schwellenländer die Kredite nicht mehr bedienen und wurden zahlungsunfähig. An dieser Stelle refinanzierten Institutionen wie der Internationale Währungsfond und die Weltbank die Krise. Dies allein brachte keine Lösung, so dass es zunächst zu Teilerlassen der Schulden bei Banken und Regierungen und später zur Streichung der Schulden bei dem IWF und der Weltbank kam. 
Die Krise 2007 wurde durch vorherige Spekulationen im deregulierten US-Immobilienmarkt ausgelöst. Als es zu einem Nachfragerückgang kam, platzte die Blase und es kam zur Einstellung der Kreditvergabe zwischen den Banken. Die Banken mussten gerettet werden - aber, dieser Punkt bleibe umstritten, so Kaiser. Vielleicht sollte man eher sagen: Die Politik entschloss sich, die Banken zu retten. Die Krise wurde also wieder durch Institutionen wie den EFSF, den IWF, die EU oder die EZB refinanziert.

Transparentes Procedere für Staatsinsolvenzen

Gerade werden wieder Schuldenschnitte, also Teilerlasse diskutiert. Es zeigt sich also das gleiche Muster: Kredite bei Privatbanken werden sozialisiert und somit von uns allen getragen. Danach folgen Teilerlasse der Schulden gegen gewisse Auflagen, bei denen die Schuldner häufig nicht mal mitreden dürfen. Es sei also umso wichtiger, so Jürgen Kaiser weiter, dass es ein geordnetes und transparentes Prozedere der Insolvenz von Staaten gibt. Dafür streitet das Bündnis erlassjahr.de. Jürgen Kaiser legte in einer betont ruhigen und sachlichen Art komplexeste Zusammenhänge dar. Das Publikum dankte es ihm mit Applaus und einer Vielzahl interessierter Fragen.