Liegt die Zukunft hinter uns? Warum wir positive Zukunftsbilder bitter nötig haben

01.06.2016, Dana Giesecke

Im Jahr 2050: Oma und Enkelin beugen sich über ein Familienalbum und mokieren sich blätternd über den verstorbenen Opa – der als toller Typ in seinen besten Jahren um 2015 in unterschiedlichen Posen die Segnungen einer auf expansiven Wachstum getrimmten Konsumgesellschaft lebte und zelebrierte. „Opa war ein Arschloch“ befindet die Enkelin knapp – Ja, kommentiert die Oma amüsiert: – „Er war ein Arschloch.“ „Arschloch-gewesen-sein“  heißt so viel, wie unbewusst, unkritisch und benebelt durch die Verheißungen und  Alternativlosigkeit der von Konsumalternativen vollstopften  kapitalistischen Gegenwart zu irren. Freilich wissen Oma und Enkelin mehr, weil sie aus der Perspektive von 2050, also aus der Zukunft zurück auf die vergangene Gegenwart  schauen. Mit dieser Geschichte stieg Dana Giesecke, Soziologin und wissenschaftliche Leiterin von „FUTURZWEI – Stiftung Zukunftsfähigkeit“, in die 10. Vorlesung innerhalb der öffentlichen Ringvorlesung „Konkrete Utopien - die Suche nach dem besseren Leben“ ein.

Den Faden des zukünftigen Rückblicks auf die Vergangenheit, das Futur 2, nimmt Dana Giesecke weiter auf, indem sie die Zuhörer an einer Art Brief aus der Zukunft teilhaben lässt. Eine gespannte Erwartung machte sich im Auditorium breit, was sich hier wohl tut bzw. auftut, welche Botschaft oder Aufklärung aus der Zukunft sich über diese rhetorische Umleitung den Zuhörern mitteilen wird. Im Ergebnis ergab sich der von Giesecke und der Stiftung FUTURZWEI beabsichtigte Effekt, dass der Blick zurück noch deutlicher und schärfer vor Augen führt, was wir heute zu sehen und nur zu ahnen vermögen und in welchen Zukunftsillusionen wir uns dabei immer wieder beruhigend einrichten – etwa mit Idee, dass die Einführung „erneuerbarer Energien“, dass unser Gang in den Bioladen die Klimaerwärmung lösen könnte. Das ist und bleibt eine Illusion solange dies nur im Rahmen eines Kulturmodells stattfindet, das ungebrochen auf Expansion und nicht auf Reduktion setzt. Bislang ist es dem Kapitalismus als erfolgreichstem Wirtschaftsmodell der Menschheitsgeschichte gelungen, Produktivität und Wohlstand für viele (nicht für alle) zu produzieren. Das Paradoxe ist, dass dieses Wirtschaftsmodell an seinem Erfolg zugrunde gehen muss, wenn es sich für alle durchsetzt – weil dann die Nebenfolge nicht mehr exkludiert werden können sondern globalisiert auf alle zurück fallen: Bis auf eine Restelite von Superreichen, die es sich noch ein bisschen länger schön machen kann... 

Das sind für sich genommen keine neuen Gedanken, die FUTRUZWEI verbreiten möchte. Wenngleich die publizistischen Aktivitäten der Kollegen um Harald Welzer hier aufschlussreich, verstörend und anregend sind, weil sie versuchen, das Ganze unideologisch, faktenreich und mit Witz zu denken. Der eigentliche Stiftungszweck von FUTURZWEI liegt jedoch, wie Dana Giesecke in der Diskussion deutlich machte, im Aufspüren konkreter Utopien als Gelingensgeschichten aus dem Alltag. So werden konkrete Initiativen „praktischer Visionäre“  gesammelt und weiter erzählt, weil im Weitererzählen die Energie und Ansteckung zum Un-Möglichen liegt. Sei es die Geschichte von sogenannten Harz-IV-Möbeln, die Geschichte einer Gift-Box, die Dinge, die man abgeben kann, neue Besitzer finden lässt, sei es eine „Schnippeldisko“, in der neben Beats 750 Kilogramm aussortiertes Gemüse kollektiv verwertet werden...

Klar, dass in der Diskussion interessiertes Nachfragen auf skeptische Kommentare trafen. Aber vielleicht hat die Botschaft doch verfangen – wer sich über das Unmögliche nicht hinwegsetzt, kann die Erfahrung des Doch-Gelingens nicht machen. Und die Frage: Wer möchtest Du gewesen sein, muss jeder für sich beantworten.