3. Vorlesung

Krieg in Europa – Neue Außen- und Verteidigungspolitik?

Die „Neue Weltordnung“ nach 1990 ist längst zerstoben. In Zeiten der Zeitenwende gilt: Sicherheit ist nicht mit, sondern vor Russland zu organisieren. Der Krieg in Europa verwüstet nicht nur die Ukraine und vernichtet dort Menschenleben, er zerstört die Idee eines gemeinsamen europäischen Hauses. Wenn die Logik der militärischen Stärke jetzt dominiert, wo bleibt da die Politik? Wie sieht die neue Verteidigungspolitik Deutschlands aus? Wie sicher ist das westliche Bündnis? Worum geht es künftig in der Außenpolitik – um Interessen oder Werte? Wann und wie kommt Europa zum Frieden?

Dozent

Prof. Dr. Carlo Masala

Universität der Bundeswehr München
Professur für Internationale Politik

Zur Person

Carlo Masala, geboren 1968, Studium der Politik, Romanistik und Germanistik in Köln und Bonn, 1996 Promotion zum Dr. phil., 1997 Senior Fellow am Zentrum für Europäische Integrationsforschung, 2002 Habilitation mit einer Arbeit über die Südbedrohung der europäischen Sicherheit, seit 2007 Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, zahlreiche Publikationen, unter anderem „Weltunordnung. Die globalen Krisen und das Versagen des Westens“ (C.H. Beck).

Das war die dritte Vorlesung

Dr. Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr, Autor zahlreicher Publikationen und medienpräsenter Experte nahm unter der Überschrift „Krieg in Europa – Neue Außen- und Verteidigungspolitik?“ das Publikum in Mittweida mit auf den Weg einer Einordnung der Zeiten wendenden Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine vor allem im Blick auf die Außen- und Verteidigungspolitik.

Alle NATO-Staaten operieren im „Nebel des Krieges“. Alles sei dynamisch und in dieser Art völlig neu. Es ist der erste Angriffskrieg seit dem Zweiten Weltkrieg – und mit einer neuartigen nuklearen Bedrohung. Der größte europäische Flächenstaat mit seiner neo-imperialen Agenda überfällt den zweitgrößten. Dieser Krieg stelle das Ende einer seit 1975 mühsam aufgebauten europäischen Sicherheitspolitik mit gesicherten Grenzen souveräner Staaten dar und habe außerdem globale Auswirkungen und die Destabilisierung anderer unbeteiligter Regionen zur Folge. Insofern sei dieser Krieg ein Wendepunkt.

„Es gab für diese Situation bisher keine Blaupause.“ Aber keine der beteiligten NATO-Regierungen habe, so Masala, kapitale Fehler begangen. „Alle haben es relativ gut hinbekommen.“ Die Waffenlieferungen, insbesondere die Panzerlieferungen, bedeuteten tatsächlich einen Paradigmenwechsel. In der Diplomatie unterscheide sich Deutschland von den USA. Während dort als Druckmittel „all options on the table“ seien und damit Teil der Diplomatie, verstehe Deutschland den Einsatz von Streitkräften als Ultima Ratio im Sinne des äußersten Mittels, nachdem die Diplomatie versagt hat. Militärisch sei Russland zudem nur mit gut ausgebildeten Streitkräften und modernen Systemen zu begegnen, da der Westen mit der Menge an von Moskau mobilisierbaren Menschen und Material nicht gleichziehen könne – sofern sich in Russland kein Widerstand gegen eine solche Mobilisierung regt.

Bisher, so Masala, habe es aber keine Zeitenwende in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gegeben. Das gelte – wenn auch nicht allein – für Deutschland , dessen Kanzler in seiner berühmten Rede auch nie direkt von einer Zeitenwende für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesprochen habe. Nach anfänglichem Tempo fahre das Land ohne funktionierende Strategie inzwischen wieder auf Sicht. Die Zeitenwende geschehe vielmehr um uns herum.

Text/Fotos: Helmut Hammer, 23.04.2023, HSMW-News

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