Fünfzehnte Veranstaltung

Moderner Kinderschutz - ganzheitliche Hilfe oder autoritäres Risikomanagement?

18.06.2014 
Prof. Dr. habil. Reinhart Wolff
Kronberger Kreis für Dialog. Qualitätsentwicklung e. V. Freie Universität Berlin /Alice Salomon Hochschule Berlin (Sozialpädagoge, Erziehungswissenschaftler u. Soziologe)

Kinderschutz ist das normalste von der Welt... Das war das Eingangsstatement von Prof. Dr. Reinhart Wolff zur letzen Veranstaltung im Rahmen der Ringvorlesung „Was ist modern?“ , die dem modernen Kinderschutz gewidmet war. Prof. Wolff, ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet, macht zugleich deutlich, dass die Normalität, dass Kinder unseren Schutz und unsere Fürsorge brauchen, im Alltag oft mit einer anderen „Normalität“ konfrontiert ist, dass Kinder misshandelt, missbraucht und vernachlässigt werden. Die Schuldigen sind meistens schnell gefunden – die versagenden Eltern und die versagenden Experten, denen eine kopfschüttelende und erregte Öffentlichkeit mit Unverständnis gegenüber steht. Hier gilt es nicht, wie Wolff deutlich macht, nur genauer hinzuschauen sondern auch die medialen Skandalisierungen kritisch in den Blick zu nehmen. So geht es vor allem darum, Kinderschutz als ein moderner Umgang mit modernen Risiken des Aufwachsens zu verstehen. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, wie eine moderne Gesellschaft, ein moderner Staat und Professionelle damit umgehen sollen, dass Kinder immer noch und immer wieder solchen Risiken (z.B. von Vernachlässigung) ausgesetzt sind. Wolff macht deutlich, dass hier schnelle Lösungen des Durch- und Eingreifens in das Elternrecht oder des Verschärfens von Strafrecht nicht die Lösung sind, da sie langfristig in einen autoritär-diktatorische Kultur des Verdächtigens und Überwachens führen müssen. Es ist eher zu verstehen, in welchem Grunddilemma hier Experten (z.B. des Jugendamtes) stecken, nämlich zu früh oder zu spät einzugreifen - wenn sie sowohl das Kindeswohl, das Elternwohl und als auch das Gemeinwohl im Blick haben müssen, wenn sie z.B. darüber entscheiden, ob ein Kind in Obhut genommen werden muss. Hier gibt es vielleicht gute, bessere aber selten eine „richtige“ Entscheidung und Lösung, es bleibt oft ein Rest des Nichtvorhersehbaren und Nichtbeeinflussbaren, was man modern als Kontingenz bezeichnet. Die Kunst und Aufgabe ist, mit dieser Kontingenz auch im Kinderschutz umzugehen, was weder durch eine managerale Verwaltung von Kindern noch durch eine bürokratische Standardisierung von Hilfe möglich ist. Prof . Wolff hat hierfür auch keine einfache Lösung, aber sein Engagement als Aufklärer und Weiterbildner für eine Verbesserung des Kinderschutzes, die auf den Dialog zwischen Eltern, Helfern und Experten, auf Achtsamkeit und eine vorbebaltlose Fehlerkultur setzt.
Damit war der Schlusspunkt unter die Vorlesungsreihe „Was ist modern?“ gesetzt. Das Votum der Anwesenden war eindeutig, eine solche Reihe fortzusetzen, um den begonnenen Dialog über die Fächer in der Hochschule aber auch mit der Bürgerschaft in Mittweida weiter zu führen. Wie es gelingen kann, noch mehr Interessenten für eine solche anspruchvolle wie anregende Veranstaltung zu gewinnen, wird die Veranstalter weiter bewegen. Die Idee und Praxis des Lifestreams und der Konservierung der Vorlesungen im Netz ist jetzt schon, wie etliche Feedbacks zeigen, eine bewährte Form auf die Ungleichzeitigkeit von Wissensaneignung in der Moderne zu reagieren...