Elfte Veranstaltung

Moderne Kindheit – Kindheit in der (Spät-)Moderne

21.05.2014 
Prof. Dr. rer. nat. habil. Stefan Busse
Hochschule Mittweida, Psychologie mehr

Der Blick auf "Kindheit" war bisher fast ausschließlich ein Blick durch die Brille von Erwachsenen. Das macht die Geschichte des Phänomens Kindheit in den vergangenen Jahrhunderten deutlich. Kindheit ist damit eine "Erwachsenenkindheit". Erst in den vergangenen Jahrzehnten erscheint ein neues Paradigma: das Kindsein als Lebenswelt von Kindern und damit aus Kindersicht definiert.
Moderne Kindheit war Thema der elften Veranstaltung der Ringvorlesung "Was ist modern?" am vergangenen Mittwoch in der Hochschule Mittweida. Es referierte einer der Organisatoren der Reihe, der Mittweidaer Professor und Direktor des KOMMIT-Instituts Stefan Busse. Von der Antike, dem Mittelalter, der Neuzeit, der Aufklärung bis zur Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts unterschied Busse Perioden auf dem Weg zu einer modernen Kindheit. Jede dieser Epochen hat einen spezifischen Blick auf Kindheit geprägt. So ist die Idee der Kindheit als "Schutz-, Schon-, und Lebensraum" erst eine Erfindung der Aufklärung des späten 18. Jahrhunderts und damit viel jünger als man gemeinhin glaubt.
Für die heutige Zeit diagnostizierte Stefan Busse "eine Vervielfältigung von Kindheiten". Es gibt nicht mehr die eine Kindheit und auch nicht mehr eine gemeinsame Kindheit, die eine spezifische Generation geteilt hat. Vielmehr ist die heutige Kindheit von Ambivalenzen und einer Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Entwicklungen gekennzeichnet. Dennoch lassen sich nach Stefan Busse vier Eigenschaften der Kindheit in der Spätmoderne isolieren: eine Mediatisierung, eine Kommerzialisierung, eine Entgrenzung der Generationsverhältnisse und eine Subjektivierung.

Neue Risiken haben alte Gefahren abgelöst
In der Folge ist die heutige Kindheit durch das Verschwinden alter Risiken wie Hunger, Krankheit oder Kindersterblichkeit gekennzeichnet. Kinder haben größere Freiheiten und Autonomien. Gleichzeitig entstehen neue Risiken, wie die Komplexität eines Kinderalltags, der koordiniert und gemanagt werden muss: Zwischen Leistungsdruck in der Schule und Klavierunterricht muss das Fußballtraining und das Erlernen einer vierten Fremdsprache eingetaktet werden. Ein solches Multitasking kann zur Erschöpfung und Entfremdung von sich selbst führen - und zur Zunahme von psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen. So konnte Professor Busse zeigen, dass es Kindern in Deutschland - wenn man ökonomische und soziale Kriterien zu Grunde legt - ausgezeichnet geht. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sie auch glückliche Kinder sind.