Rückblick: "30 Jahre gewendetes Deutschland - Quo Vadis?"

Streitbarer und nachdenklicher Dialog Kontrovers Extra am Mittwoch, dem 6. November, versammelte auf dem Podium Theologen und Sozialwissenschaftler*innen, allesamt Zeit- und Ortszeugen der "Wende", und rund 80 Besucher*innen im Studio B der Hochschule. Es entspann sich unter Moderation von Prof. Stefan Busse eine streitbare und nachdenkliche Diskussion, deren Beiträge sich nicht auf die jeweilige "professionelle" Perspektive reduzieren ließen. So wurde recht schnell der Begriff "Wende" in Frage gestellt. Schon eher als "Revolution" müsse das riskante Aufbegehren gegen eine Diktatur und das totale Umwerfen der Lebensverhältnisse für die Ostdeutschen charakterisiert werden. Dass sie friedlich geblieben ist, sei immer noch ein Wunder; strittig sei, wem welches Verdienst zukommt, wer welchen Teil der "Wende" erbt und heute verteidigt bzw. verteidigen darf.

Professor Stefan Busse versuchte der Frage auf den Grund zu gehen, was die damalige Diktaturerfahrung für die Wachsamkeit und Couragiertheit in unserer heutigen (bedrohten) Demokratie bedeuten? Es ging auch um die eigenen Ängste und den Mut, wie es sich angefühlt hat dieses durchaus "richtige Leben in einem falschen (Unrechts-)Staat".

Auch kamen Fehlentwicklung nach der Wende zur Sprache, was auf der Strecke geblieben ist, und wie sich dabei Ost- und Westdeutsche möglicherweise eher auseinander als aufeinander zu entwickelt haben. Wie lässt sich verstehen, dass Ostdeutsche als einzelne ihr individuelles Glück als sehr hoch einschätzen aber kollektiv eher unzufrieden sind - mit der Demokratie, sich fremd im eigenen Land fühlen, was einen Teil von ihnen zur "rechten Rebellion" treibt, was wiederum die hohe Zustimmung zur AfD im Osten verständlich macht.
Unstrittig war jedoch, dass es sich nicht nur um ein ostdeutsches oder deutsch-deutsches Problem handelt, sondern hier auch übergreifende Ängste vor den Folgen der Globalisierung und Digitalisierung zu Buch schlagen. Dass die Wende i.S. einer gesellschaftlichen Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit, eine Begrenzung der Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die kapitalistische Verwertungslogik und einer ökologischen Befriedung mit unserem Planeten die eigentlich drängenden Fragen sind, machte die anschließende Diskussion ebenfalls deutlich.
Schlussendlich hieß es, den Blick auf die Wende wieder ein wenig zu weiten, denn es gibt noch einiges "gemeinsam zu verdauen", was auch an diesem Abend bei weitem nicht erschöpfend geschehen konnte.

Unsere Gäste

Prof. Dr. phil. Beate Mitzscherlich
studierte von 1982 bis 1987 Psychologie in Leipzig und Leningrad. 1995 promovierte sie über "Subjektive Dimensionen von Heimat" an der FU Berlin. Seit 1999 ist sie Professorin für Pflegeforschung an der Westsächsischen Hochschule und beschäftigt sich wissenschaftlich und publizistisch u.a. mit dem Thema (ostdeutscher) Identität und Heimat, Heimatverlust und Fremdenfeindlichkeit.

Dr. Thomas Ahbe
studierte von 1981 bis 1987 in Leipzig Philosophie, Ökonomie und Soziologie. Seit 1998 wirkt er freischaffend als Sozialwissenschaftler und Publizist. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Diskurs- und Kulturgeschichte der deutschen Zweistaatlichkeit und der ostdeutschen Transformation sowie die Generationengeschichte der DDR und Ostdeutschlands.

Dr. Christoph Körner
war von 1972-2001 war Pfarrer in der Evangelischen Kirchgemeinde Mittweida und Studentenpfarrer. Seit Beginn der 1980er-Jahre war er aktiver Mitstreiter der christlichen Friedensbewegung in der DDR und des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Christoph Wonneberger
ist lutherischer Pfarrer i. R. Er koordinierte von 1986 bis Ende Oktober 1989 die montäglichen "Friedensgebete" in der Leipziger Nikolaikirche. Aus diesen entwickelten sich die Montagsdemonstrationen und die Friedliche Revolution im Herbst 1989. Die Gründung der oppositionellen Arbeitsgruppe Menschenrechte brachte ihn seit Anfang 1987 in weitere schwere Konflikte mit staatlichen und kirchlichen Stellen.